Warum man sich nicht zu ernst nehmen sollte

Es gibt Geschichten, denen man mit dem nötigen Ernst begegnen muss. Aber diese Geschichten sind die Ausnahme. In der Regel ist es meines Erachtens nach effektiver, sich nicht zu ernst zu nehmen.

Ich kam auf diesen Gedanken im Rahmen der Diskussion um die Casting-Entscheidungen zu Ringe der Macht. In Tolkiens Welt gab es ein diverses Casting, das dem Ursprungsmaterial nicht entspricht.

Mir persönlich war das egal, aber ich kann verstehen, dass man sich darüber ereifert.

Was mir jedoch aufgefallen ist: Ringe der Macht nimmt sich selbst extrem ernst. 

Es gibt eine andere Serie, die im mittelalterlichen Europa spielt und ein diverses Casting hat. Auch diese Serie basiert auf einer extrem langen Erzähltradition fantastischer Geschichten, die noch weiter zurückreicht als Tolkien: Die König Artus Sage. 

Die Rede ist von Merlin von 2008. Soweit ich mich erinnere, gab es weder damals noch heute einen großen Aufschrei, dass die Hautfarbe in Camalot eher etwas Arbiträres ist.

Es ist keine getreue, realistische Nacherzählung der epischen Artussage, sondern ganz offen eine lighthearted Neuinterpretation, die die Geschichte aus der Sicht einer beliebten Randfigur erzählt – deswegen auch der Titel “Merlin”.

Unterschied zwischen den Serien

Warum stößt es in der einen Serie auf und macht Schlagzeilen und in der anderen nicht?

Zum einen liegt ein Jahrzehnt der PC-Bewegung dazwischen. Zum anderen jedoch, so bin ich überzeugt, liegt es am Storytelling. 

  • Merlin ist character-driven
  • Ringe der Macht ist plot-driven

Character-driven Plots gelten allgemeinhin als die besseren Plots, die allerdings auch schwerer zu schreiben sind, weil man sich sehr genau Gedanken machen muss. Man braucht Erfahrung, Empathie und die Fähigkeit, sich selbst un andere zu Reflektieren – das können heutige Hollywood-Autoren nicht mehr, wie in meinem letzten Video beschrieben.

Die Show Merlin nimmt sich absolut nicht ernst: Die meisten Bösewichte sind Karikaturen, manche Plots sind vorhersehbar, aber trotzdem sind die Hauptcharaktere ernstzunehmende Figuren mit Tiefe, Fehlern, Motivationen, Wünschen und klaren Charaktereigenschaften (fleshed out). 

Für Ringe der Macht reichte es nur für einen Plot-driven Plot, bei dem eine Sache nach der anderen passiert, weil – muss halt. Wenn die Figuren nur leere Hülsen sind, die nur sagen und wollen, was der Plot ihnen vorschreibt, fällt es schwer, über die Oberfläche hinweg zu blicken – weil außer dieser Oberfläche nicht viel da ist. Ich denke, auch das ist ein Grund, warum viele sich so auf die Hautfarbe fokussieren.

Wer austeilt, muss einstecken können

Ringe der Macht hat sich mit seinem enormen Produktionsvolumen von einer Milliarde Dollar und seinem aggressiven Marketing auf die Fahnen geschrieben, nicht nur eine treue. sondern ein verbesserter Bestandteil der bestehenden Geschichte zu sein, als sei es ein legitimer Nachfolger, ein legitimer Eintrag in Tolkiens Werk selbst. Diese Serie nimmt sich extrem ernst und versucht jeden, von ihrer Bedeutung und ihrem Status in der Popkultur zu überzeugen.

Wer sich selbst so ernst nimmt, wird allerdings auch ernsthaft bewertet. Und eine Kritik ist nun mal, dass es bei Tolkien keine gemischtrassigen Völker gab, bei denen die Hautfarbe nach Belieben wechselt.

Guinevere aus der Artussage war ebenfalls keine Woman of Colour, aber bei Merlin geht es nicht um die akkurate Nacherzählung der Urpsungsmaterials, sondern um die Figuren, ihre Interaktion, ihre Konflikte.

Die Hautfarbe ist zweitrangig, wenn die Schauspieler gut harmonieren, eine gute Chemie haben und die Figur mit Leben füllen – was man bei Ringe der Macht nicht sagen kann.

Ist ein Format wie die Show von Merlin für Ringe der Macht denkbar?

Eine Serie, die alles mit einem Augenzwinkern betrachtet und sich selbst nicht zu ernst nimmt, dafür sehr gut ausgearbeitete Figuren hat?

Teils ja, teils nein. Nach Serien wie Game of Thrones, Vikings & Co. erwarten die Menschen epische Fantasyabenteuer, die sich durchaus ernst nehmen, mit dem entsprechenden Produktionsbudget. Aber ich denke, wenn Ringe der Macht so gut geschrieben wäre wie die ersten Staffeln von Game of Thrones – intensive character-driven Plots mit hohen Stakes und viel Spannung – dann würde kaum jemand über die Hautfarbe der Figuren sprechen. 

Wir tun es, weil es nichts anderes zu sagen gibt. Und deswegen wird Ringe der Macht bald in Vergessenheit geraten.

Fazit: Man sollte die richtigen Elemente einer Geschichte ernst nehmen, vor allem die Figuren. Abgesehen davon ist nichts davon wirklich ernst zu nehmen – immerhin ist es nur eine Geschichte.

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