Jedem von uns ist das Phänomen vertraut: Als Kind dauern Tage, Wochen, Monate, Jahre unvorstellbar lang. Als Erwachsener hingegen sind diese Zeitspannen blitzschnell um. Je älter wir werden, desto schneller scheint die Zeit zu vergehen. Ursache ist die Relation: Das Empfinden der Dauer eines Zeitabschnitts variiert im Verhältnis zu unserer Lebenszeit.
Ein vierjähriges Kind empfindet mit seinen ca. 1.500 Tagen Lebenszeit einen Tag als lange Zeitspanne. Für einen 35-jährigen Erwachsenen hat ein einzelner Tag eine andere Relevanz, weil diese 24 Stunden als Einheit vor seinen ca. 12.800 Tagen verblassen.
Für Erwachsene verschwindet zunehmend das Empfinden für die Dauer einzelner Zeitabschnitte wie Tage, Wochen, Monate oder Jahre. Trotzdem können wir auf der Mikroebene die Relativität der Zeit noch immer spüren.
Das innere Metronom
Hören wir einen uns vertrauten Song, während wir ruhig und entspannt nur so da sitzen, kommt uns das Lied vielleicht unnötig hitzig und schnell vor. Der gleiche Song kann beim Sport plötzlich fast langsam wirken.
Die Geschwindigkeit des Songs ist in beiden Fällen identisch, nur der Maßstab, mit dem wir den Takt vergleichen und ihn ins Verhältnis setzen, ändert sich. Unser inneres Metronom ist unser Herzschlag. Beim Sport schlägt das Herz schnell, möglicherweise schneller als der Beat, der im Vergleich dazu langsam erscheint. Sind wir umgekehrt sehr entspannt mit einem ruhigen Herzschlag, macht der Rhythmus vielleicht mehr Schläge in einer Minute als unser Herz.
Die innere Sanduhr
Es ist eine Volksweisheit: “Die Zeit vergeht schneller, wenn man Spaß hat.” Aber warum empfinden wir so? Bei allen Tätigkeiten ist unser Gehirn mit von der Partie und verbraucht einmal mehr, einmal weniger Ressourcen – der Sand unserer inneren Sanduhr.
Haben wir Spaß und geht und etwas mühelos von der Hand, verbraucht das Gehirn weniger Kapazität – es fließt wenig Sand durch die Sanduhr, also empfinden wir das Vergehen der Zeit als langsamer, als es in Wirklichkeit ist. Schauen wir dann auf die Uhr, sind wir erschrocken, wie spät es bereits ist.
Befassen wir uns im Gegenzug mit unspaßigen, komplizierten Angelegenheiten, wie der Steuererklärung oder dem Lebensmitteleinkauf, verbraucht unser Gehirn mehr Transferleistung, um die gestellte Aufgabe zu bearbeiten – in kurzer Zeit fließt also viel “Sand” durch die Sanduhr. Die Minuten fühlen sich an wie Stunden.
Was ist ein Tag für Gott?
Zurück zum Ausgangspunkt: Je älter man also ist, desto kürzer erscheint einem der Tag. Für ein unsterbliches, uraltes Wesen müsste ein Tag sich folglich wie ein winziger Augenblick anfühlen. Das wirft ein anderes Licht auf den christlich-jüdischen Schöpfungsmythos, in dem die Erschaffung der Erde sieben Tage dauerte. Aber ist mit Tag hier wirklich eine Rotation der Erde gemeint? Oder eher ein göttlicher Zeitabschnitt, der jeweils einen Schritt der Schöpfung umfasste?
In diesem Sinne könnte ein göttlicher Tag durchaus mehrere Millionen unserer Jahre dauern,
Zeitgefühl unsterblicher Figuren
Warum befasse ich mich überhaupt mit dem Thema? In “Energia” gibt es eine unsterbliche Figur, über deren Zeitempfinden ich mir Gedanken gemacht habe. Wie empfindet Sileon mit seinen über 800 Jahren einen Tag? Was ist eine Woche für Athanasius mit einem Alter von über 1.400 Jahren? Ich stelle mir vor, dass sie die Tage als solches nicht mehr wahrnehmen, sondern Zeit nur noch projektbasiert wahrnehmen. Ist ein Ziel erreicht, beginnt ein neues Projekt und damit ein neuer Zeitabschnitt. Vielleicht war das bei Gott und der Schöpfung genauso. 😉