arti kann lesen #3 – Ghost Writer von Marianna Poppitz

Ich habe es schon öfter erwähnt: Zugegebenermaßen bin ich nicht in der Mangaszene, darum war ich völlig unbedarft, als ich auf der Dokomi 2017 am Stand des Manga Club vom DJGB vorbeigestolpert bin. In diesem Verein setzen Zeichner gemeinsam Projekte um, ähnlich wie bei ArtMacoro. Ich war ganz angetan und musste natürlich kräftig shoppen.

Ohne es zu wissen, habe ich bereits einen Comic des Manga Club vorgestellt, nämlich Ivy Road von Katharina Kirsch. Diesmal haben zeige ich euch:

Ghost Writer von Marianna Poppitz

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Die Künstlerin

Marianna hat den Comic zur LBM 2017 rausgebracht, bei der sie einen der begehrten Plätze ergattern konnte. Sie ist fasziniert von urbanen Settings, was man ihrer Geschichte deutlich anmerkt. Von sich selbst sagt sie, dass sie sich oft fühlt, als tanze sie auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig. Um dieses Gefühl kreist auch die Handlung.

Marianna hat Architektur studiert und Erfahrung mit journalistischem Schreiben. Als wäre das noch nicht interdisziplinär genug, hat sie auch ein tiefgreifendes Verständnis für visuelles Storytelling. Ich empfehle jedem einmal einen genauen Blick auf ihre Seite zu werfen. Danach seid ihr auf jeden Fall klüger und hoffentlich auch so fasziniert wie ich.

Story

Kurz zusammengefasst könnte man sagen, es geht um das Spannungsverhältnis zwischen Job und Leidenschaft, Notwendigkeit und Freiheit – und dass man manchmal einfach nur innehalten muss, um klar zu sehen.

Protagonistin ist die Grafikdesignerin Jane, die zwar ihren Traum zum Beruf gemacht hat, aber vor lauter Beruf nicht mehr zu ihrem Traum kommt. Das Chaos ist perfekt, als zu allem Überfluss auch noch die Technik streikt.

Diesen Zwiespalt kennen sicher viele und auch für die Zeichnerin selbst ist es eine persönliche Geschichte. Ein bitterer Spiegel also, der hier dem Leser vorgehalten wird. Aber: Es endet optimistisch. 

Hier wird eine scheinbar kleine, alltägliche Wahrheit gekonnt visualisiert. Das beeindruckt mich am meisten. Es ist einfach, epische Schlachten um Gut und Böse zu erzählen. Viel schwieriger ist es, die feinen Nuancen des Alltags zu enthüllen. Bevor ich aber zu philosophisch abdrifte, verweise ich auf meine Musical-Rezi, in der mich zum Schluss mit Kunst und Wahrhaftigkeit auseinandergesetzt habe.

Ghost Writer ist eine sehr schöne und authentische Slice-of-Life-Story, mit der sich viele identifizieren werden. Nebenbei erfährt der Leser intensiv die städtische Szenerie Berlins. Diese ist mir am eindrucksvollsten in Erinnerung geblieben. Man riecht fast den Asphalt und den Beton der Großstadt (seit „Tigermilch“ bin ich ja bekennender Fan urbaner Geschichten).

Also wieder eine Zeichnerin, die auch exzellent erzählt. Das Vorurteil stimmt einfach nicht! XD 

Figuren

Wir begegnen gemeinsam mit Jane mehreren Figuren, die trotz des teils kurzen Auftritts gut ausgestaltet sind. Am längsten ist wohl die Begegnung mit Naomi, die Jane dazu bringt, ihre eigene Situation zu reflektieren. 

Die anderen Figuren sind mit Janes unterschiedlichen Lebenswelten verknüpft, und stellen alle gleichermaßen Anforderungen an die junge Grafikerin. Gehetzt jagt Jane von einem Termin zum nächsten, um Berufliches und Privates bestmöglich unter einen Hut zu bringen. Interessant finde ich, dass die berufliche Welt gesichtslos bleibt.

Meine Interpretation: Bei der beruflichen Beziehung sind einfach keine persönlichen Gefühle im Spiel, dennoch ist Jane darauf angewiesen, einen Großteil ihrer Zeit mit diesen Aufträgen zu verbringen. Ein Gesicht, eine wirkliche Person, zu der man eine echte Beziehung aufbaut, ist hier nicht vorhanden. Ein sehr schönes und cleveres stilistisches Mittel, um die unpersönliche Beziehung zum Job zu visualisieren.

(Wenn ich so darüber nachdenke, bekommt das Ghost in „Ghost Writer“ dadurch direkt eine ganz andere Konnotation!)

Zeichenstil

Den Stil einzuordnen, fällt mir recht schwer. Marianna hat keinen typischen Manga-Stil, aber auch keinen klassischen Comic-Stil. Er ist sehr individuell und eher minimalistisch – im positiven Sinne! Mit wenigen Strichen schafft sie es, Stimmung, Ausdruck und Gefühle zu vermitteln, dass es eine wahre Freude ist. Sie spielt außerdem viel mit unterschiedlichen Perspektiven.

Die Blickrichtung und das Verständnis des Lesers werden durch die gelungenen Perspektiven und hervorragende Panelaufteilung gelenkt.

Ohne dass es der Leser bewusst merkt, wird dadurch auf verschiedenen Ebenen Bedeutung erzeugt und vermittelt – Perspektive, Licht, Schatten, Panelaufteilung – all das ist sehr bewusst eingesetzt, um zuerst eine beengende, später eine befreite Stimmung zu erzeugen.

Der Comic ist in Schwarz-Weiß, was sich aber gut zur Visualisierung des urbanen Settings der Berliner Großstadt eignet. Zudem passt es sehr gut zu dem minimalistischen Stil, der gänzlich ohne die Bedeutungsebene von Farbe auskommt. Ich gehe sogar soweit zu behaupten, dass Farbe hier tatsächlich stören würde, denn sie würde nur von dem klaren Stil und den wesentlichen, bedeutungstragenden Elementen ablenken.

Fazit

Ghost Writer ist ein sehr schöner, vielschichtiger Comic, der bei mir einen emotionalen Aha-Moment ausgelöst hat: Einfach mal auf Abstand gehen und die Beine baumeln lassen. Ich habe am Ende richtig aufgeatmet, als sei Janes Last von meinen Schultern gefallen. Der Leser wird subtil daran erinnert, dass nichts jemals so heiß ist, wie es gekocht wird. 

Sehr heiß ist hingegen meine Kaufempfehlung. Schlagt hier guten Gewissens zu, es lohnt sich! Marianna weiß was sie tut und ich hoffe, bald mehr von ihr zu lesen. Und checkt auch die anderen Projekte des Manga Club. 😀

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