Breaking the 4th Wall

Das Projekt Sileons Pendel soll ja irgendwie anders sein: Kein richtiger Roman, keine richtige Graphic Novel, kein richtiges Comicheft, eine Parodie ohne Karikaturen – irgendwie alles ein wenig und nichts so richtig. Ein bisschen so wie ich.

Im Verlauf der Geschichte, die sich über mehrere Bände erstreckt, nimmt die Absurdität der Welt immer weiter zu. Die Figuren sehen sich einer völlig entzügelten Realität gegenüber, die sie weder beeinflussen noch kontrollieren können – wie im wahren Leben auch.

Gestern kam mir die glorreiche Idee, bei diesen absurden Auswüchsen selbst vor dem Leser nicht Halt zu machen, also die vierte Wand zu brechen. In Bezug auf Texte habe ich den Begriff noch nicht gehört, er ist mir eher aus Comics und Film geläufig.

Was ist die vierte Wand?

Zur Erklärung: Als vierte Wand wird die Perspektive des Lesers bezeichnet. Man stelle sich ein Bild (ob jetzt Comic, TV oder Film) von einem Raum vor. In der Regel sieht man hier drei Wände, dazu Boden und Decke. Die vierte Wand sehen wir nicht, weil sie uns den Blick auf die Szene versperren würde. Besonders schön sieht man das bei Sitcoms, wo man den Räumen tatsächlich ansieht, dass sie nur Kulisse sind und eine vierte Wand gar nicht existiert.

Die Figuren tun natürlich so, als wäre es ein normaler Raum mit vier Wänden – es sei denn, die vierte Wand wird „gebrochen“. In dem Fall wird der Leser/Zuschauer ins Geschehen einbezogen. Er ist nicht länger stiller Beobachter, sondern Teil der Fiktion. Indem der Leser als Rezipient der Erzählung direkt angesprochen wird, wird der Raum als Kulisse, die Geschichte als Illusion entlarvt, die Figuren zeigen, dass sie sich ihrer Fiktivität bewusst sind. Die Geschichte bricht sozusagen aus ihren starren, durch die Fiktion vorgegebenen Wänden aus und gelangt zu Selbstreflexion.

Die vierte Wand wird dann durchbrochen, wenn die Figur den Leser/Zuschauer z.B. direkt ansieht, anspricht oder auf die Fiktionalität der Erzählung hinweist. Klassiker sind z.B. die Warner Cartoons oder Deadpool.

Klicke auf das Bild, um es beim Künstler James Vaughan auf Flickr zu sehen.

Philosophische Grenzübergänge

Ausbildungsbedingt finde ich solche Gedankenspiele ja faszinierend. Was bedeutet das Überschreiten der vierten Wand, dieser magischen Grenze, die Illusion und Realität voneinander trennt? Wird die Fiktion dadurch etwas realer oder wird die Realität zur Illusion?

Beides ist möglich. Die Illusion wird zerstört, wenn das Medium sich selbst als solches identifiziert, wenn Figuren aus TV-Serien z.B. darauf Bezug nehmen („Wir müssen die 30 Minuten ja voll kriegen!“ oder „Wenn wir das tun würden, wäre die Folge schon vorbei!“). Das kann u.U. beim Rezipienten zu einer Irritation führen, vor allem dann, wenn die vierte Wand nicht regelmäßig durchbrochen wird. Ist die Illusion üblicherweise intakt, wird sie durch den Bruch erschüttert, was in der Regel eher negativ bewertet wird. Natürlich gibt es Inhalte, da gehört das Durchbrechen der vierten Wand dazu und stößt deswegen auch nicht weiter auf.

Es gibt aber auch den umgekehrten Fall, wo die Illusion sich durch das Durchbrechen der vierten Wand sozusagen in die Realität ausweitet. So etwas beobachtet man häufig bei Serien oder Büchern für Kleinkinder, wo sie von den Figuren aufgefordert werden, mitzuklatschen oder andere Aktivitäten durchzuführen. Die kleinen Rezipienten werden hier in die Illusion einbezogen, die Geschichte verliert also nicht ihre Glaubwürdigkeit.

Das waren meine eigenen, bescheidenen Gedanken dazu. Ich bin mir sicher, dass es für Literatur, Film- oder Theaterwissenschaftler ganz hervorragende Fachliteratur gibt, die das Thema erschöpfend und komplexer darstellt, als ich es könnte, und dass es für die hier beschriebenen Phänomene auch schöne Fachtermini mit dazugehöriger Definition gibt. Ich kann euch hier gerade nur die Literaturnachweise von Wikepedia in die Hand geben, falls ihr euch weiterbilden möchtet.

Breaking the illusion – im Text?

Wie realisiert man das Durchbrechen der vierten Wand nun in einem Text? Ganz einfach: durch Schummeln. Mit Text allein wird es etwas schwierig, darum kombiniere ich mehrere Techniken, um den Leser die Auswirkungen der Magie, die in der Geschichte ihr Unwesen treibt, um die Ohren zu hauen.

Über Ich-Perspektive im Text und gezielten graphischen Elementen und Bildern kann im Text suggeriert werden, der Leser sei mit dabei. Außerdem hatte ich überlegt, mit Lückentexten für den Leser zu arbeiten, die er dann selbst ausfüllen kann, das hemmt allerdings sehr den Lesefluss.

Der erste Band bzw. die erste Episode von Sileons Pendel ist gerade in der Korrektur-Phase. Zu Beginn der Story hält sich die Absurdität noch in Grenzen, der Leser wird also erst später in den Genuss kommen, dass die Geschichte ihm ins Gesicht springt.

Es gibt für das Projekt auf jeden Fall viele gute Ideen! Und ich muss mir auf die Zunge beißen, nicht alles zu spoilern! XD

5/5 (2)

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