DOKOMI: Workshop zur Textüberarbeitung

In Wirklichkeit bin ich ja Literaturwissenschaftlerin, Linguistin und Kommunikationswissenschaftlerin und habe freiberuflich als Journalistin, Lektorin und Texterin gearbeitet. Außerdem bin ich seit dem Studium in unterschiedlichen Formen als Schulungsleiterin aktiv. Was liegt da näher, als einen Workshop zum Thema Textüberarbeitung zu halten?

Aus diesem Grund leite ich im Juni 2017 für ArtMacoro den Workshop „Ein Text ist fertig. Was nun?“ auf der DOKOMI in Düsseldorf.

Das Konzept zum Workshop stammt nicht von mir, sondern wurde ursprünglich von Nathalie Wojta entwickelt, die eine erfahrene Autorin ist. Ich habe das Konzept etwas arti-mäßig angepasst und hoffe, dass die Teilnehmer von meiner Erfahrung profitieren, Spaß haben und viel mitnehmen. Es wird auf jeden Fall gehaltvoll. 😉

Für diejenigen, die nicht in den Genuss kommen, live vor Ort zu sein, für die gibt es hier eine kleine Zusammenfassung:

Dein Text ist fertig, was nun?

Zuerst möchte ich vor Schreibratgebern und den darin enthaltenen Faustregeln warnen. Faustregeln dienen lediglich der Orientierung, sie lassen sich als Richtwert begreifen und sind keine unumstößlichen Wahrheiten. Um das zu erkennen, benötigt man allerdings eine gewisse Sprachkompetenz, die man ausgerechnet bei Schreibanfängern nicht voraussetzen kann. Diese halten die Faustregeln dann schnell für geltendes Recht und eignen sich dadurch einen oftmals wenig Leserfreundlichen Stil an (z.B. keine Adjektive, nur kurze Sätze usw.).

Grundsätzlich ist in Texten alles erlaubt, was funktioniert. Was funktioniert, erkennt man wiederum mit genügend Sprachkompetenz.

Man hat seinen Text also nun mit oder ohne die Hilfe von Schreibratgebern vollendet und möchte das Werk nun abschließend überarbeiten, bevor man es veröffentlicht oder zuvor einem Lektor vorlegt.

1. Tipps zur Textüberarbeitung

Wie gehe ich bei der Textüberarbeitung nun vor? Üblicherweise hat man die meisten Textstellen schon zigfach gelesen und übersieht dadurch die eigenen Fehler. Darum lautet der erste Punkt:

Textblindheit umgehen

Als Autor übersieht man die eigenen Fehler. Das ist auch ganz normal und hat mit unserer „überlernten“ Fähigkeit des Lesens zu tun. „Überlernt“ bedeutet, dass wir kognitiv so darauf fixiert sind, zu lesen, sobald wir Buchstaben sehen, dass wir diesen Mechanismus gar nicht abstellen können (beliebter Satz bei Linguisten: „Man kann nicht nicht lesen“). Jeder kennt sicher das Phänomen, dass man durch die Stadt läuft, plötzlich unbewusst irgendwo ein Wort liest und sich dann verwundert umguckt, wo man das denn jetzt gesehen hat.

Es kommt ein zweiter Mechanismus hinzu. Unsere Augen bewegen sich wahnsinnig schnell, mit ca. 3-5 Blicksprüngen pro Sekunde. Damit das beim Lesen auch so schnell klappt, lesen wir Wörter nicht Buchstabe für Buchstabe, sondern scannen das Wort als Ganzes. Bei dieser Worterkennung spielen die Wortlänge und die Hoch- und Tiefstellung von Buchstaben eine große Rolle. Nur sehr lange Wörter oder unbekannte Wörter lesen wir wirklich Buchstabe für Buchstabe.

Genau hier liegt jetzt der Hund begraben: Wenn unser Gehirn das Wort nur als Ganzes wahrnimmt, sind Zeichendreher und Tippfehler schnell übersprungen, v.a. wenn sich an der „Gesamtstruktur“ des Wortes nichts ändert. Das Problem wird schlimmer, wenn man den Text schon kennt und das Gehirn Fehler und Leerstellen einfach selbstständig ausfüllt, so dass man selbst Zeichensetzungsfehler oder fehlende Worte nicht wahrnimmt. Wir müssen unser Gehirn also austricksen. Dafür gibt es bestimmte Strategien (auch für journalistische und wissenschaftliche Texte geeignet):

  • Text liegen lassen, um wieder etwas Abstand zu bekommen. Dadurch füllen wir Sätze nicht mehr automatisch aus, weil wir noch auswendig wissen, was kommt.
  • Text Wort für Wort rückwärts lesen. So umgeht ihr die Gefahr, dass euer Hirn Fehler überliest, weil es den Text schon kennt.
  • Text sich selbst laut vorlesen. Auf diese Weise findet ihr Rechtschreibfehler und Wortdopplungen, die ihr überlesen würdest, weil ihr beim laut Lesen nicht überfliegt.

Konkreta

Oft wird im ersten Entwurf nur die Handlung runter geschrieben. Dabei fehlen Beschreibungen von Umgebung oder Vorgängen, die Innenpersepektiven der Figuren, Gedankengänge und grundsätzlich alles, was Bilder im Kopf des Lesers evoziert. Der Leser kann sich dadurch den Ablauf nicht bildlich vorstellen, wodurch er weniger in die Geschichte hineingezogen wird und das Erzählte weniger im Gedächtnis hängen bleibt. Als Autor passiert das sehr schnell, weil man ja schon alle Bilder im Kopf hat.

Die Herausforderung besteht im Kopfkino: Durch die verwendete Sprache möchte ich die gleichen Bilder im Kopf des Lesers erschaffen, die ich mir so denke. In erzählenden Texten abstrahieren wir darum nicht, im Gegensatz zu wissenschaftlichen oder journalistischen Texten, sondern wir müssen konkretisieren, also Sachverhalte möglichst konkret beschreiben.

Beispiel von allgemein nach konkret: Fahrzeug – Auto – schwarzer Geländewagen oder roter Kombi oder violetter Fiat Punto mit blauen Herzchen-Aufklebern auf der Motorhaube.

Die ersten beiden Begriffe Fahrzeug oder Auto sind nicht sehr konkret. Jeder Leser wird sich hier etwas unterschiedliches vorstellen. Die Frustration kommt dann, wenn später im Text doch konkrete Merkmale des Autos beschrieben werden, der Leser sich aber schon selbst ein ganz anderes Bild gemacht hat.

Bei den letzten Vorschlägen hat jeder direkt ein konkretes Bild im Kopf. Solche Konkreta sind ideal dazu geeignet, Charaktereigenschaften einer Figur zu illustrieren. Bei dem Fiat Punto mit blauen Herzchen-Aufklebern auf der Motorhaube denken wir mit Sicherheit an einen anderen Typ von Fahrer als bei dem schwarzen Geländewagen.

Jetzt darf man nicht den falschen Eindruck gewinnen, dass man niemals allgemeine Begriffe verwenden sollte. Die sind natürlich wichtig, allein um zwischendurch Synonyme anzubringen. Beim Schreiben sollte man dennoch darauf achten, dass zumindest bei der Etablierung einer Figur oder eines Gegenstandes zunächst Konkreta verwendet werden, damit dem Leser direkt klar ist, was er vor seinem geistigen Auge sehen soll.

Satzlängen

Gebetet wird immer: kurze Sätze, bloß nie zu lang, wegen der Lesbarkeit! Ich sehe das so: Alles ist erlaubt. Gute Lesbarkeit durch moderate Satzlängen macht den Text natürlich attraktiv, aber der Leser ist nicht dumm. Er kann auch mal einen längeren Satz, der aus Haupt- und Nebensätzen besteht, vertragen.

Beim Schreiben formuliert man oft, ohne auf die Länge der Sätze zu achten. Bei der Textüberarbeitung sollte man bei den Sätzen, die sich über 3 Zeilen Länge erstrecken, zumindest prüfen, ob man sie kürzen oder den Satz in mehrere Sätze aufteilen kann. Hat man einen langen Satz mit gutem Lesefluss, bei dem man also nicht stolpert, ist das nicht unbedingt nötig.

Hat man aber vielleicht einen oder mehrere Hauptsätze mit zusätzlich mehreren Nebensätzen und sind dann unter Umständen auch die Bezüge innerhalb dieses Konstrukts nicht klar, dann sollte man den Satz auf jeden Fall aufteilen.

Umgekehrt ist es auch schlecht für die Lesbarkeit, wenn zu viele kurze 3-Wortsätze geschrieben werden, auch Stakkato-Stil genannt. In dem Fall prüfen, ob sich Sätze zusammenfassen lassen. Hier allerdings Und-Verbindungen sparsam einsetzen. In den meisten Fällen kann man ‚und‘ durch einen Punkt ersetzen. Sollte man v.a. dann machen, wenn die beiden Satzelemente nicht viel miteinander zu tun haben. Lasst euch also nicht dazu verführen, viele kurze Sätze einfach nur mit „und“ aneinanderzureihen.

Variation ist hier das Stichwort: Nur lange Sätze oder nur kurze Sätze macht den Text anstrengend. Beides im Wechsel ist zum Lesen deutlich angenehmer.

Aktiv formulieren

Passive Formulierungen wirken sehr formell, nehmen Tempo raus und erschweren die Lesbarkeit, weil das Verb erst am Ende des Satzes kommt. Darum sollte man passive Formulierungen reduziert einsetzen und besser durch aktive Formulierungen ersetzen. Bei der Textüberarbeitung kann man ein Augenmerk auf alle Hilfsverben legen (werden, sein, haben usw.), die stehen nämlich oft in Verbindung mit Passiv. Wo’s geht, einfach streichen.

  • Passiv: „Der Drache wurde von ihm erschlagen.“
  • Aktiv: „Er erschlug den Drachen.“

Auf korrekten Tempus achten

Allgemein gültige Sachverhalte oder auch philosophische Gedankenspiele werden generell im Präsens geschrieben, egal welche Zeit die Geschichte hat. Das Plusquamperfekt sollte man nur gezielt einsetzen, wenn etwas vor der erzählen Zeit spielt. Wird die Vorvergangenheit zu häufig verwendet, weil es zu viele Rückblenden gibt, nimmt es der Erzählung Tempo und macht sie schwerer zu lesen, weil das Verb, wie beim Passiv, erst am Satzende kommt.

Kürzen

Das Stichwort lautet: Mehrwert. Alles, was dem Leser keinen Mehrwert bietet, ist unnötig und Unnötiges wird gestrichen. Das tut dem Autor im Herzen weh, aber dem Text tut es gut. Ihr braucht beispielsweise nicht jeden einzelnen Handschlag, den eure Figur macht, explizit zu beschreiben.

Falls hier jetzt Verwirrung wegen der Konkreta besteht, ist das verständlich. Oben habe ich noch gesagt: Alles so konkret wie möglich beschreiben. Dennoch sollte man darauf achten, welche Informationen für den Leser wirklich relevant sind.

Beispiel: „Er kramte seine Schlüssel aus der Tasche und schloss die Haustür auf. Dann ging er hinein und legte drinnen die Tasche auf den Boden. Als er seine Schuhe ausgezogen und auf das Schuhregal gestellt hatte, legte er die Schlüssel auf die Kommode. Danach ging er in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Er nahm eine Packung Milch heraus und öffnete den Oberschrank mit dem Geschirr. Aus der Schublade holte er einen Löffel, nahm dann die Packung Müsli vom Tisch und schüttete etwas davon in die Schale. Als er auch die Milch dazu gegeben hatte, stellte er den Tetrapack wieder in den Kühlschrank. Er rührte die Milch unter das Müsli und setze sich dann an den Esstisch. Nachdem er ein paar Löffel gegessen hatte, fiel sein Blick auf die Zeitung, die auf dem Tisch lag. Sein Herz machte einen Aussetzer: Die Schlagzeile lautete …“

Woah, da hab ich mich gerade beim Schreiben echt selbst gelangweilt! Stellen wir uns vor, in der Geschichte geht es nicht um die Essgewohnheiten einer Person, sondern um einen Vampirjäger. Hier ist zwar viel geschrieben, aber nichts Plot-Relevantes ist passiert. Muss der Leser das alles wissen? Interessiert es ihn? Nein.

Nicht jeder Handschlag ist hier notwendig zu wissen, vieles lässt sich auch implizit wiedergeben. Am besten stellt man es sich vor, wie bei einem Film: Dort gibt es auch Schnitte, in denen gewisse Zeitspannen überbrückt werden, in denen Dinge Off-Screen geschehen. Der Zuschauer schließt aus den gegebenen Sachverhalten implizit, was in der Zwischenzeit passiert sein muss. Genauso kann man Dinge im Text implizit wiedergeben:

Beispiel: „Er kramte seine Schlüssel aus der Tasche und schloss die Haustür auf. Nachdem er Schuhe und Tasche abgelegt hatte, ging er erst mal in die Küche, um sich etwas zu Essen zu machen. Nachdem er ein paar Löffel Müsli gegessen hatte, fiel sein Blick auf die Zeitung, die auf dem Tisch lag. Sein Herz machte einen Aussetzer: Die Schlagzeile lautete …“

Hier haben wir deutlich entschlackt. Der Leser wird sich schon denken, dass er sich in der Küche ein Müsli gemacht hat, wenn er vorher in die Küche gegangen ist, um etwas Essbares zu finden. Ein anderer Klassiker: Jemand kommt mit nassen Haaren und einem Handtuch um die Hüfte aus dem Bad: Darauf schließen wir implizit, dass er geduscht hat, müssen das also nicht mehr ausführlich beschrieben bekommen.

Zum Thema kürzen gehören auch Wortwiederholungen, die man streichen kann oder durch Synonyme ersetzen sollte.

Strategien, um Unnützes zu streichen:

  • Auf Wortwiederholungen achten.
  • Lesen und auf Stellen achten, an denen man sich selbst langweilt.
  • Das Kapitel in zwei bis vier Sätzen zusammenfassen und mit Textmarker im Kapitel alle Stellen markieren, die dazu passen – so findet ihr „unnütze“ Textstellen, die alles aufblähen.

Satz- und Sachlogik

Hier unterscheide ich ganz gerne zwischen der Logik auf inhaltlicher und der Logik auf grammatikalischer Ebene. Ein Satz kann zwar inhaltlich verständlich sein, aber auf Satzebene ergeben sich womöglich Widersprüche. Im Schreibprozess fällt das nicht weiter auf, bei der Textüberarbeitung muss man aber ein starkes Augenmerk darauf legen, damit die Botschaft beim Leser korrekt ankommt.

Sachlogik

Hierbei handelt es sich um die inhaltliche Logik, wenn z.B. falsche Kausalitäten aufgebaut werden. Hierzu muss der Autor sehr stark das eigene Kopfkino reflektieren, was zugegeben eine hohe Abstraktionsleistung ist. Oft fällt einem selbst nicht auf, wenn die Bilder im Kopf unlogisch sind.

Beispiel: „Am Hamburger Hauptbahnhof war es um die Zeit stockfinster, so dass er den Taxistand kaum sehen konnte.“

Hierbei handelt es sich um einen Logikfehler, weil es an einem Hauptbahnhof in einer Großstadt mit all der Straßenbeleuchtung und der Leuchtreklame auch nachts nicht so finster ist, dass man einen Taxistand übersehen würde – es sei denn, es gibt einen Stromausfall.

Satzlogik

Im normalen Sprachgebrauch kommen Fehler permanent vor. Jeder, der einmal ein Interview oder eine Dikussion transkribieren musste, weiß, dass kaum jemand grammatikalisch korrekt spricht. Es gibt nicht nur jede Menge „Ähms“, sondern auch Ellipsen (Auslassungen), unvollständige Sätze, Sätze die anders anfangen, als sie aufhören, und generell einfach falsche Grammatik. Wir selbst merken das kaum, weder beim Sprechen noch beim Hören, weil unser Hirn nur das Wesentlich rausfiltert.

Bei einem Text – wo Gestik, Mimik und Tonfall fehlen – ist es nicht so einfach, nur dass Wesentliche zu extrahieren. Hier haben wir nur das geschrieben Wort. Darum sollte in man diese Fehler in Schriftsprache vermeiden, damit keine Missverständnisse entstehen, denn wird unlogisch auf grammatikalischer Ebene formuliert, kann das eine falsche Bedeutung transportieren.

Beispiel: „Er war BWL-Student, hatte aber in allen Fächern gute Noten.“

Das „aber“, das die beiden Aussagen verbindet, stellt einen Gegensatz zwischen ihnen her. Dadurch wird impliziert, dass BWL-Studenten eigentlich immer schlechte Noten haben, nur dieser hier bildet hier eine Ausnahme.

Auch Wörter wie „obwohl“, „dennoch“ oder „trotzdem“ setzen Aussagen in Beziehung miteinander, die evtl. nicht korrekt oder beabsichtigt sind.

Bsp.: „Obwohl es Sommer war und die Sonne hoch am Himmel stand, war es trotzdem warm.“

Hier wird suggeriert, dass es eigentlich kalt sein sollte, wenn im Sommer die Sonne scheint.

Wie oben gesagt. Es erfordert ein hohes Maß an Selbstreflexion, um Logikfehler bei der Textüberarbeitung ausfindig zu machen. Darum ist man als Autor hier am ehesten auf externe Hilfe angewiesen.

Die Strategien lauten daher:

  • Text von (ehrlichen!) Freunden lesen lassen, um Logikfehler zu finden.
  • Text in zwei Spalten bringen, die eine Seite leer lassen und beim Lesen Fehler/Notizen/Fragen dort notieren.

 

Das war es soweit zu den Tipps und Strategien zur Textüberarbeitung. Es gibt noch ein Merkblatt zum Thema „Was ist schlechter Stil?“, das ich aber in einem anderen Beitrag besprechen werde, weil es auch Überschneidungen zu einigen der hier genannten Punkte gibt.

Ich hoffe meine weitschweifigen Ausführungen konnten etwas Licht ins Dunkel bringen und machen Vorfreude auf die Überarbeitung des eigenen Textes!

Gebt mir gerne Anmerkungen, Ergänzungen und Feedback in den Kommentaren!

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